4. Juni 2017

Stete Verfolger

...

Überall
umgeben sie Dich
umzingeln sie Dich
berieseln und umringen Dich -
die hartnäckigen Verfolger
die säuselnden Verführer
die ehrlichen Empfehler
die freundlichen Fremden
welche Dir doch nur etwas verkaufen wollen.

In jedem Blog, auf jedem Instagram-Account, auf jedem Youtube-Channel, in den Pop-Ups und den Side-Ads warten sie: sponsored posts, personalisierte Werbeanzeigen, Dinge die ich irgendwann man angesehen habe, in einen virtuellen Warenkorb gelegt habe, welche Menschen gekauft haben die wie ich permanent beschattet werden wenn sie zum Laptop greifen. Die nervige Verkäuferin, von der wir nie wußten ob sie dringend ihre Prämie will oder vermutet einen Ladendieb zu observieren konnte man noch abhängen oder verscheuchen, die Bots sind schwerer loszuwerden.

Wie leicht wir zu beeinflussen sind ist kaum zu überschätzen. Vor ein paar Wochen habe ich versehentlich einen falschen Namen in einen Newsletter eingetragen als ich ein Geschenk online bestellt habe. Der Shop, den ich selbst gern mal durchstöbere, schickt mir seitdem Newsletter mit der falschen Anrede.
Und siehe da: kaum werde ich nicht mehr mit Vornamen angesprochen lese ich die Inhalte mit ganz anderem Vorzeichen. Die ganze Mail klingt wie ein leicht zu durchschauender Versuch, dieser mir unbekannten Person etwas zu verkaufen. Und genau das ist es ja auch: ein Lockmittel für Dinge, die man nicht braucht aber dann doch haben will, weil sie so schön aussehen, man sich belohnen will, die Fotos mit glücklichen Menschen ein Versprechen transportieren, es 15% Rabatt gibt und man sich so lange nichts mehr gegönnt hat...

Ich könnte kotzen.

Danach surft man durch den Shop, um ja nichts zu verpassen oder auf den Mindestbestellwert zu kommen oder weil man doch dieses tolle Set noch obendrauf bekommt wenn man 20€ mehr ausgibt. Eine halbe Stunde. Eine Stunde. Und klickt brav auf den "Zahlungspflichtig bestellen"-Knopf wenn man endlich fertig ist. 

Was bekomme ich? 
Dinge die ich nicht brauche und die Platz einnehmen, den ich für anderes benötige, ein schlechtes Gewissen wenn ich sie in die Hand nehmen und ein noch schlechteres, wenn ich sie irgendwann wegwerfe.

Was verliere ich?
Geld, was sehr ärgerlich ist in Zeiten der permanenten wirtschlaftlichen Unsicherheit, in denen niemand mehr in seinem Unternehmen alt wird und die Löhne seit den neunziger Jahren nicht man annährend so gestiegen sind wie die Lebenshaltungskosten. Mein Vater konnte mit einem Vollzeigjob noch locker eine fünfköpfige Familie ernähren und ein Haus kaufen. Ich zahle bis ins Rentenalter an meinem ab und trage nur die Hälfte zu unserem Einkommen bei. Die Pointe ist: ich habe einen Doktortitel in Naturwissenschaften und arbeite 45 Stunden plus im mittleren Management.
Zeit, was noch viel schlimmer ist, denn die habe ich kaum (siehe Arbeitszeit, dazu kommen noch über acht Stunden Pendeln jede Woche). Und schließlich weiß man nie, wann man keine Zeit mehr hat weil alles endet.
Die Achtung vor dem eigenen Selbst. Jetzt ist man so clever, so erwachsen, hat so vieles gesehen und gelernt, seinen eigenen Kleiderschrank ein Jahr lang mit Argusaugen beobachtet und fällt immer noch auf die plumpesten Tricks rein. Weil man müde ist. Weil man ein Stück Glück kaufen will. Nicht, daß ich ein unglücklicher Mensch bin. Aber wie Pawlows Hund läuft mir auch das Wasser im Mund zusammen, wenn irgendwer das Glöckchen klingeln läßt.

So konditioniert sind wir wahrscheinlich alle, nur stört es uns nicht sehr oder nicht oft. Mich hat es auch nur ab und zu gestört, bis mir bewußt geworden ist wie konditioniert ich doch bin.
Und da kommt der Punkt an dem ich nicht mehr mitmache. Und seis nur des Prinzips wegen.

Man sagt was Dich nicht umbringt macht Dich stärker. 
Ich sage: bring um was Dich nicht stark macht.

Das Jahr hat noch sieben Monate, und das ist eine gute Zeit. Meine Schränke und Schubladen sind gefüllt, ich bin gewappnet. Dieses Jahr kaufe ich nichts mehr. Keine Kleidung, keine Accessoires, kein Makeup. 

Das schreit nach grandiosem Scheitern, aber wer's nicht versucht kann's auch nicht schaffen. Statt darüber zu schreiben was ich gekauft habe und wie es mein Leben erleichtert oder bereichert oder blabla und warum diese Mascara doch der heilige Gral ist oder diese Schuhe so toll zu allem passen oder diese Jacke das Must-have ever darstellt möchte ich lieber darüber schreiben, warum ich Zeit für etwas aufgewendet habe um mich dann letzten Endes dagegen zu entscheiden. Vielleicht interessiert es ja jemanden, vielleicht fliege ich sofort auf die Schnauze, vielleicht versandet das Vorhaben sofort wieder. Aber probieren will ich es. Hoffen wir auf einen Lernprozeß.

3 Kommentare:

  1. So ähnlich sieht es bei mir gerade auch. Nach dem Sommerurlaub ist Schluss mit allem bis Jahresende- denn: Haus wird gekauft! LG, Franziska

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  2. Ich merke das auch immer mehr. Inzwischen hat man vieles und braucht nicht noch den 20. Lippenstift oder das 15. Kleid. Das Geld (und auch die Zeit für die Suche) können wir besser verwenden. Ich freue mich auf weitere Posts von dir zum Thema. :)

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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