22. November 2013

Go Ginza!

Tag 5 in Nippon, Tag 2 in Tokyo Als ich in meinem Schuhkarton aufwache ist es 12 Uhr lokale Zeit, langsam nähere ich mich meiner momentanen Zeitzone. Die Putzkolonne hat schon zweimal versucht, in mein Zimmer einzubrechen, und nun voller Verzweiflung die Rezeption beauftragt, von mir Order einzuholen. Heute kein cleaning, arigato. Tut mir echt leid. Gegen zwei und nach gefühlten 312 Versuchen, den Reiseführer mit Google Maps zu verkuppeln, breche ich Richtung MOMAT auf. Da ich befürchte, die U-Bahn wieder mit einem Regionalzug ins Nirgendwo zu verwechseln und inzwischen die Hoffnung aufgegeben habe, irgendwer in der Tourist Info würde englisch sprechen, meide ich den public transport und laufe. Was nach einem kurzen Spaziergang auf der Karte aussieht ist in dieser Stadt ein Fußmarsch von mehr als einer halben Stunde. Stur das Tablet vor mir hertragend und für japanische Verhältnisse finster dreinblickend laufe ich meinen Weg zickzack zwischen den Häuserschluchten. Ein Beispiel dafür, was Japaner nicht können: Flüsse in Städten [Foto von deprimierender Fluß-Unterführung] Das MOMAT zeigt moderne japanische Kunst des Expressionismus, von der Zeit um 1880 bis in die Gegenwart. Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigen vor allem Industrialisierung, westliche Einflüsse und eine neue persönliche Freiheit die Maler. Danach waren es die Kriege - erster Weltkrieg, japanisch-chinesischer Krieg (über den hier niemand offen reden mag), zweiter Weltkrieg. Allein die Bilder zu diesem Thema haben mich so mitgenommen daß ich sie nicht fotografieren wollte. Die Liebenswürdigkeit englischer 1zu1-Übersetzungen aus dem Japanischen holt den dankbaren Besucher wieder in die freundliche Gegenwart: neben einem Room with a view gibt es einen Room to appreciate the building. Die Dämmerung sinkt schon über die Stadt, als ich noch in das Arts and Crafts-Museum husche. Als einziger Besucher habe ich Zeit, Kimonos, Teeschalen und Lacquerware zu bewundern. Celadon und Perlmutt, mehrere hundert Jahre als. Nach einem langen Spaziergang am Park entlang und durch Gedankenwolken erreiche ich plötzlich und unvermittelt das Zentrum des Konsums: Ginza. Ich habe schon viele Shoppingmeilen glitzern sehen, vor allem in der Vorweihnachtszeit, aber das hier ist nicht nur übertrieben, es ist grotesk. Im bunten Durcheinander europäischer Luxusmarken und spanischer Billighersteller findet sich der Flagshipstore von Uniqlo, einem japanischen Original. Ganze 12 Stockwerke, bauplatzbedingt irritierend schmal, bieten Basics in fast beliebigen Farben. Es fühlt sich ein wenig an als würde man auf einer Trittleiter in einem Aufzugschacht shoppen. No offense, aber wenn ich wieder heimkomme werde ich unsere Wohnung wohl als Bahnhofshalle wahrnehmen. Gegen 22 Uhr wieder im Hotel bin ich todmüde. Meine Udon habe ich nicht bekommen, also muß ich mich von Crackern ernähren. Als ich um Mitternacht das dritte Mal zur Waschmaschine pilgere, um endlich an die Reihe zu kommen, treffe ich im Fahrstuhl einen japanischen Herrn mittleren (?) Alters. Außer dem Hotelkimono und korrespondierenden Schlappen trägt er augenscheinlich nichts und ist etwas erschreckt, eine Europäerin mit Augenringen anzutreffen. An der Waschmaschine angekommen entnimmt er dort eine Hose, ein Hemd, ein Unterhemd, eine Unterhose und ein Paar Socken, um all das in den Trockner zu legen. Nach einem ertappten Blick in meine Richtung verschwindet er schnell. Ich muß grinsen.

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